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             Worringen um 1825 (Teil 3)

Ebenso einfach wie die allgemein agrarisch geprägte Bevölkerung Worringens waren die Lebensumstände der Menschen, die jedoch durch die Mannigfaltigkeit und Zweckmäßigkeit ihrer Kleidung überraschten. Einheitstracht gab es keine.                                        

Dokumentation einer medizinischen Topografie der Bürgermeisterei Worringen von Dr. Carl Anton Werres, in seiner Funktion als Kreisphysikus für die ansässigen Behörden des Landkreises Köln:

„An Werktagen trägt der Landmann im Sommer und Winter wollene Kleider, hat dabey selten einen Rock an, sondern meistens einen blauen leinenen Kittel (* 1), Kamisol (*2), Weste und Überstrümpfe, wollene Mütze, ein leinenes oder baumwollenes Halstuch. Die Alten tragen kurze, die Jungen lange Beinkleider. Die Weiber tragen nach Umständen der Jahreszeit und des Vermögens wollene oder leinene Kleider, Halstuch von Cattun (* 3), ein Kleid ohne oder mit kurzen Aermeln, welches bis auf die Füße geht, oder Juppen (* 4), Jacken und Röcke mit Schürzeln (* 5), an den Füßen Klumpen (* 6), Hodschen (* 7), lederne Schuhe, cattunene Hauben und Kopftücher. Bemittelte Männer tragen wollene Kleidungen verschiedener Farbe, Siamoisen (* 8) oder Hosen, Strümpfe, Schuhe, Hüthe und Kappen. Man trägt allgemein Hemden.“

„Das Alter macht bey der Kleidung fast keine Verschiedenheit und die Jahreszeit nur die, dass in der wärmeren die Unterschenkeln und bei Weibern und Kindern auch die Füße blos getragen werden.“

„Der Landmann geht gewöhnlich, wenn er den Trödelhandel aufsucht, nach Cöln. Das Verschenken der Kleidungsstücke Verstorbener lässt er sich nicht leicht einfallen, doch ist es hin und wieder der Fall. Ein alter Brauch ist es, mitunter die Kleidungsstücke, womit der Gestorbene im Sterben bekleidet war, derjenigen Person zu schenken, welche ihn auszieht und reinigt. Als nachteilig ist zu betrachten, dass die Kleidungen an ansteckenden Krankheiten Verstorbener von den übrigbleibenden Familienmitgliedern fortgebraucht werden.“

Ein guter Anzug oder ein Kleid, wie beispielsweise der Hochzeitsanzug oder das Brautkleid, musste für das ganze Leben herhalten. Mäntel waren zu teuer und wurden deshalb kaum getragen. Die Kinderkleidung war ähnlich der Erwachsenen. Jungen und Mädchen trugen die oft geflickten Sachen der Älteren auf.

Die Reinigung der Wäsche und Kleidungsstücke geschah mittels schwarzer Seife im Pletschbach oder am Rheinufer. Später ging man dazu über, Ziehbrunnen anzulegen, um die weitläufigen Wege zu den Wasserstellen zu vermeiden, zumal der Pletschbach in heißen Jahren stark austrocknete.

 Die Nahrungsmittel der Bewohner waren im Allgemeinen sehr bescheiden. Roggenbrot, Kartoffeln, Gemüse aller Art sowie frisches und getrocknetes Obst machten die Hauptnahrung aus, hinzu kamen noch Fisch (im Sommer Barben und Aale, im Winter Hechte oder vereinzelt Salme), Milch und Frischkäse, selten frisches Fleisch (häufig dann nur der Speck). Wohlhabende hatten zusätzlich noch Weißbrot, Butter und Schweinefleisch, gelegentlich auch Kalb- und Rindfleisch. Die Mittellosen bedienten sich als Zusätze des Salzes und Rüböls, bei den Wohlhabenden wurden Pfeffer und andere Gartengewürze verwendet. Die Speisen bestanden morgens aus einem von Weizenmehl, Milch, Roggenbrot und Salz zubereitetem Brei, mittags aus einer Suppe von Hülsenfrüchten oder Kartoffeln und einem Gemüse von Kartoffeln und Rüben, abends von den Resten der Mittagsmahlzeit.

Das übliche Getränk der meisten Bewohner war „klares“ Wasser und ein Kaffee-Surrogat aus geröstetem Roggen, Weizen oder Mohrenstücken, Kaffee wurde nur von den Wohlhabenden täglich getrunken, die meisten Bewohner bedienten sich dessen nur an Sonn- und Festtagen. Bier wurde zwar auch zu sich genommen, es war aber meistens sauer, doch hin und wieder gab es auch schmackhaftes Bier. Das Bier bestand gewöhnlich ganz einfach aus Hopfen, Malz mit einem Zusatz aus Pomeranzenschalen (* 9). Ferner wurde gern Branntwein (meistens aus Kartoffeln mit einem Zusatz von Roggen hergestellt) in den Wirtshäusern (* 10) getrunken. In der Sommerhitze trank man Wasser mit Essig oder auch Milch und Buttermilch mit Wasser verdünnt.

Fast jedes Häuschen hatte noch einen kleinen Stallanbau, wo in der Regel eine Ziege gehalten wurde. Die Frau des Hauses musste von früh bis spät neben ihrer umfangreichen Arbeit im und am Haus, auch noch die Feldarbeit verrichten, Viehfutter beschaffen und die zahlreichen Kinder versorgen und erziehen.

                               

Als Schlussbemerkung bleibt festzuhalten, dass die Lebensverhältnisse in Worringen des 19. Jahrhunderts als ärmlich zu bezeichnen waren. Die Versorgung der meisten Menschen war äußerst dürftig, weil das geringe Realeinkommen kaum zum Leben ausreichte. Die Schulkinder mussten mitverdienen, im Frühjahr und Herbst verrichteten sie nach Unterrichtsschluss Feldarbeit. Gründlich wandelte sich dies erst um 1870, als Worringen vom industriellen Aufschwung erfasst wurde und die altüberkommenen gesellschaftlichen Formen und Inhalte in Bewegung gerieten.

* 1 „Baselümche“ genannt

* 2 Unterjacke, kurzes Wams der Frauen- und Männerkleidung
* 3 mittelfeines Gewebe aus Baumwolle
* 4 Unterröcke
* 5 Schürzen
* 6 Holzschuhe aus Birken- oder Erlenholz

* 7 Holzschuhe mit Oberleder

* 8 Schürzenstoffe
* 9 apfelsinenähnliche Zitrusfrucht

* 10 Worringen hat um 1870 26 Wirtshäuser und 7 Tanzsäle.
1901 eröffnete Johann Schlösser das Wirtshaus „Haus Schlösser“. Anfangs wurde hier nur Korn ausgeschenkt. Bereits morgens um 5 Uhr füllte die Wirtin den Korn in die Gläser und sog. Flachmänner. Auf dem Weg zur Arbeit tranken die Worringer ihren ersten „Morgenschluck“ und machten sich dann „innerlich gewärmt“ an ihre Arbeit. Abends auf dem Heimweg kehrten viele nochmals im „Haus Schlösser“ ein. Die Mengen an Korn, die dabei umgesetzt wurden, waren beachtlich. So wies dieAbrechnung im Jahr 1908 einen Umsatz von 7.418 Litern aus.

                                               

Manfred Schmidt, April 2013

Abbildungen Heimatarchiv Worringen