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 Wussten Sie schon … ?                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Hinweis: Beim Klick auf das jeweilige Bild erfolgt eine Vergrößerung und Bildbeschreibung oben.

 Sichtbares und Verborgenes - Epoche des Nationalsozialismus

von 1933 bis 1945 (Teil 3)

Worringer Zeitzeugen berichten

Gleichschaltung, Entrechtung und Verfolgung in der Nazi-Zeit - die vergessenen NS-Opfer

Den entscheidenden gesetzlichen Rahmen für die Verfolgung politischer Gegner und die Festigung uneingeschränkter Machtverhältnisse für die Nationalsozialisten bildete die "Reichstagsbrandverordnung" vom 28. Februar 1933. Die Notverordnung setzte die verfassungsmäßigen Grundrechte der persönlichen Freiheit, der Meinungs-, Vereins- und Versammlungsfreiheit außer Kraft. Die NSDAP bediente sich bei der Festigung ihrer Macht neben Gewalt und Terror vor allem ihrer allgegenwärtigen Propaganda. Hakenkreuzfahnen prägten unübersehbar das öffentliche Straßenbild.

Aufgrund der "Reichstagsbrandverordnung" hatte das NS-Regime bei der Verfolgung von Oppositionellen freie Hand. Verschleppt und inhaftiert wurden zunächst vor allem Funktionäre der SPD und der KPD. Die Nationalsozialisten untersagten Organisationen, die sich dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch zu widersetzen drohten, passten staatliche und gesellschaftliche Institutionen dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem an oder überführten sie in NS-Verbände. Im Sommer 1934 war der Gleichschaltungsprozess durch Übernahme der wichtigsten Verbände in die Organisationsstruktur der NSDAP weit fortgeschritten. Die erzwungene und unfreiwillige Anpassung ermöglichte der Partei eine nahezu vollständige Kontrolle aller gesellschaftlichen Bereiche.

                                                                                                                      

Mit der sogenannten Machtergreifung setzte nicht nur Unterdrückung und Gewalt, sondern auch eine Radikalisierung der deutschen Bevölkerung ein, die dazu führte, dass Menschen in wenigen Jahren sukzessive aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgegrenzt und schließlich massenhaft ermordet werden konnten. Der vereinzelt und vergleichsweise selten vorkommende Widerstand von Personen, der sich eher im Stillen abspielte, entsprang oft einer moralischen Abscheu gegen die Taten des Regimes oder aus Mitleid mit den Opfern. Er reichte von der Verweigerung des Hitlergrußes bis hin zur verbotenen Versorgung mit Lebensmitteln für Zwangsarbeiter oder die Geheimhaltung von Verfolgten.


Deutschland darf seiner Vergangenheit nicht davonlaufen und in der Gegenwart nicht wegschauen. Die Problemstellungen zeigen jedoch immer wieder, wie schwer sich die deutsche Gesellschaft mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit offenbart. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist daher nach wie vor problematisch.

Im Jahr 1933 wehte zum ersten Mal die schwarz-weiß-rote Fahne am Worringer Rathaus, ein Kennzeichen, dass die Machtergreifung der NSDAP eine neue politische Wendung bringt. Die für urbane Gebäude obligatorischen Hakenkreuz-Fahnen waren schnell ausverkauft, ein Beweis wie rasch sie begehrt wurde 


Zeitzeugenbericht von Marga Ronsiek

Marga Katharina, verstorben am 22. Juni 2021 im Alter von 75 Jahren, war die Tochter von Jakob Hilden und Hildegard Nußbaum.

„Mein Großvater Hermann Karl Nußbaum, geb. am 26. April 1890 in Friedrichroda /Thüringen, war Bäckergeselle und befand sich im Jahr 1912 im Raum Düsseldorf auf der Walz. Dort lernte er Maria Katharina Lamping kennen, am 1. Mai 1917 fand die Hochzeit statt. Meine Mutter Hildegard wurde 9 Monate später am 26. Februar 1918 geboren. 1924 trennte sich meine Großmutter von ihrem Ehemann.

Mein Großvater orientierte sich daraufhin beruflich zur Selbständigkeit und Selbstversorgung. Er pachtete über eine Anzeige ein Waldgrundstück  der Familie Ubber im Worringer Bruch. Gewohnt hat er in den Jahren des Aufbaus seines Geflügelhofes wohl in einem ausrangierten Personenwagen der Deutschen Reichsbahn, der auf das Grundstück geschafft wurde. 1928 lebte die Familie jedoch wieder zusammen. 

                                                                                                                                      

Bereits Anfang der 1920er Jahre beschäftigte sich mein Großvater mit politischen Ereignissen. Er war ein Kind der Weimarer Republik, ein Suchender auf dem Weg in eine bessere politische und persönliche Zukunft. Seine politische Karriere begann 1924 mit dem frühen Eintritt in die NSDAP und 1930 Austritt „aus ideologischen Gründen“. Danach nimmt er Verbindung zur Strasser-Bewegung auf. 1933 wird er Mitglied des 1934 bereits verbotenen Rolandbundes und beginnt mit - für uns heute - verwirrenden konspirativen Tätigkeiten. Nach Aussagen seiner engsten Familienangehörigen hatte er die Absicht, NS-Organisationen auszuspionieren und zu sabotieren. Er stellt ein Aufnahmegesuch bei der SS-Formation Dormagen, wird aber abgelehnt.

Die Familie geriet nach Hitlers Machtergreifung 1933 in den Strudel des NS-Regimes. Sie war bescheiden, obwohl er hart arbeitete, meist arbeitslos oder in „Schutzhaft“ und zwar nicht nur wegen Aufwiegelungen zum Widerstand. Seine Aktionen, Flugblätter zu verteilen, konspirative Sitzungen abzuhalten und im Untergrund zu arbeiten, führten dazu, dass er unter anderem auch seinen Arbeitsplatz in der Zuckerfabrik Pfeifer & Langen in Dormagen verlor. Seine Familie lebte in ständiger Angst um ihn und versuchte, ihn zum Schweigen zu bewegen, was ihnen jedoch nicht gelang. Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler am 20.07.1944 glaubte er ganz fest an den baldigen Untergang Hitlers und seines Gewaltregimes und wurde unvorsichtig in seinen Aktivitäten. Als Häftling war er im „Zuchthaus Rheinbach“ und zuletzt ab Herbst in Schutzhaft im „Gestapo-Gefängnis Brauweiler“. Von dort aus wurde er im Januar 1945 zum KZ-Buchenwald überführt und starb dort ca. 2 Wochen später - sehr wahrscheinlich wurde er erhängt oder erschossen und dann im Krematorium verbrannt.


                                                                                                                                      

Seine Ehefrau Katharina erhielt kurz darauf eine Nachricht aus Buchenwald, dass ihr Mann infolge einer Lungenentzündung gestorben sei. Sie konnte nicht glauben, dass ihr Mann tot sein soll, und gibt Suchanzeigen auf. Die einzige Antwort, die sie bekam, ist ein anonymer Brief, der ihr androht, dass sie ihrem Gatten bald ins Krematorium folgen wird.“ 


                                                                                                                                    

Anmerkung des Verfassers:

Buchenwald gehörte zu den Konzentrationslagern, die von der SS im Rahmen der Kriegsvorbereitungen geplant und gebaut wurden. Von den über 238.000 Insassen kamen 56.000 bei Massentötungen, medizinischen Experimenten und durch die Willkür der SS ums Leben. Die Schutzstaffel (SS) entstand bei der Neuorganisation der NSDAP 1925 aus dem «Stosstrupp Hitler», der als Hitlers Leibwache fungiert hatte.

Nach Kriegsbeginn wurden rund 8.500 Männer in das KZ Buchenwald eingewiesen, darunter Hunderte Tschechen und burgenländische Roma sowie über 2.000 Polen und mehr als tausend Wiener Juden. Gleichzeitig eskalierte der Terror der SS, willkürliche Erschießungen häuften sich. Über 3.000 Polen und Juden pferchte die SS in ein abgeriegeltes Sonderlager am Appellplatz. Der Umgang mit ihnen trug Züge eines planmäßigen Massenmords. Zu Jahresbeginn 1940 ermordete die SS erstmals entkräftete Häftlinge mittels Injektionen. Aufgrund der gestiegenen Zahl der Toten ließ die SS neben dem Appellplatz ein Krematorium bauen. Im Sommer 1940 nahm es seinen Betrieb auf. Allein in diesem Jahr starben über 1.800 Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald.

Nach dem 2. Weltkrieg bemühte sich die Großmutter vergeblich um eine Hinterbliebenenrente für Opfer des Nationalsozialismus.

Auszüge aus dem „Tatbestand“ der Gerichtsakten beim Landgerichts Düsseldorf wegen eines Rechtsstreits auf Hinterbliebenenrente für die Witwe Katharina Nußbaum, geb. Lamping, Köln-Worringen, Worringer Bruch, vom 3. August 1960.

„Die am 22.03.1885 geborene Klägerin macht Hinterbliebenenrentenansprüche nach ihrem am 26.04.1890 geborenen und am 28.01.1945 im Konzentrationslager Buchenwald verstorbenen Ehemann Karl Hermann Nußbaum geltend. Dieser hatte von 1924 an mit der Mitgliedsnummer 25 623 der NSDAP angehört und war 1930 wieder aus ihr wegen ideologischer Differenzen ausgeschieden. Später hatte er Verbindung zur Strasser-Bewegung. Nach der Machtübernahme durch die NSDAP wurde er im Juni 1933 Mitglied des Rolandbundes, der auf dem Boden der Wirtschaftslehre Silvio Gesells stand und am 20.01. 1934 verboten wurde. Bevor im November 1933 ein Verfahren wegen Hochverrats gegen den Ehemann der Klägerin eingeleitet wurde, hatte dieser sich vom 19.04. - 29.05.1933 in Schutzhaft befunden. Nach Einleitung des Strafverfahrens befand er sich vom 08.11. bis 22.12.1933 und sodann ab 04.01.1935 in Haft. Durch Urteil des 1. Strafsenats des OLG Hamm vom 25.09.1935 wurde  er wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 2 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus unter Anrechnung einer Untersuchungshaft von 10 Monaten verurteilt. Es wurde festgestellt, dass seine Tätigkeit auf einen gewaltsamen Umsturz der Staatsordnung durch die Strasser Bewegung gerichtet gewesen sei. Die Strafe verbüßte er bis zum 25.05.1937. Nach der Haftentlassung arbeitete der Ehemann der Klägerin in der Zuckerfabrik Pfeifer & Langen in Dormagen. Am 21.9.1944 wurde er auf Anordnung der Gestapo Köln erneut verhaftet und am 15.01.1945 in das Konzentrationslager Buchenwald zugeführt, wo er bald darauf verstarb.“

Stolpersteine / Erinnerungsmale für die Opfer des Nationalsozialismus

Über das Kölner Stadtgebiet verteilt sind kleine Gedenktafeln, sogenannte Stolpersteine, in den Boden eingelassen. Diese kleinen Erinnerungsmale werden in der Regel genau an den Orten verlegt, an denen Menschen vor ihrer Flucht oder Verhaftung durch den Terror des Nationalsozialismus gelebt haben. Sie erinnern uns an deportierte und ermordete jüdische Menschen, an Sinti und Roma, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zwangsarbeiter*innen, Zeugen Jehovas und Opfer der "Euthanasie". Der nördliche Kölner Stadtbezirk Chorweiler hat bisher nur in Fühlingen den Stolperstein in den Boden eingelassen.

Es würde Menschen im Ortsteil Worringen, die von den Nationalsozialisten zu Nummern degradiert und ermordet wurden, ihren Namen und damit die Erinnerung an sie zurückgeben. "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist". Schulklassen können dies als Ausgangspunkt für eigene Projekte nutzen, zum Beispiel, indem erste Informationen über Verfolgte im eigenen Ortsteil recherchiert werden.“

Fortsetzung zur Epoche des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 folgt.

Quellenangaben
 NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln - Ergreifende und schwer begreifbare  Geschichten
LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, NS-Zeit 1933 - 1945
Bundeszentrale für politische Bildung, Kapitel 7 Nationalsozialismus,
Kommunen und NS-Verfolgungspolitik https://de.wikipedia.org › wiki › Nationalsozialismus
Essay über ein Familien-Trauma von Marga Ronsiek, Martin Schorn, 2010

Abbildungsnachweise
Heimatarchiv Worringen

aus privater Sammlung

Bericht: Manfred Schmidt

heimatarchiv-worringen.de/März 2024