Worringen um 1825 (Teil 1)
Nach fast 20 Jahren französischer Herrschaft erhielt Preußen am 8. Februar 1815 auf dem Wiener Kongress die Rheinprovinz (und somit auch die Bürgermeisterei Worringen) als neues Staatsgebiet zugesprochen. Mit der Eingliederung blieb zunächst die französische Kommunalverfassung bestehen. Worringen und Stommeln wurden jedoch in ihren bestehenden Grenzen durch die am 20. April 1816 in Kraft gesetzte Verwaltungsneugliederung der preußischen Länder am Rhein aus dem „Canton Dormagen“ herausgelöst und dem Landkreis Köln, im später gebildeten Regierungsbezirk Köln, eingeordnet.
Bis zur Eingemeindung nach Köln am 1. April 1922 - zugleich erlosch die Selbständigkeit Worringens - blieb das Gebiet der Bürgermeisterei Worringen unverändert. Es umfasste das „Städtchen“ Worringen (mit Haus Arff, Haus Furth, Chorbusch und Piwipp sowie den zugehörigen Höfen Brüngesrather Hof, Bergerhof, Krebelshof, Blechhof) und die Dörfer Roggendorf, Thenhoven, Fühlingen (mit Feldkassel und Stallagsberg), Langel (mit Rheinkassel und Kasselberg), Weiler sowie Merkenich (mit den Höfen Groß- und Klein-Lachem). Im Rahmen der Eingliederung in die Stadtgemeinde Köln wurde ein schmaler Rheinuferstreifen bis zur Piwipp an Dormagen abgetreten.
Der preußische Militär- und Beamtenstaat war historischen Reminiszenzen beim Aufbau einer Verwaltungsorganisation in den rheinischen Ländern kaum zugänglich. So mussten rheinische Erwartungen und Wünsche auf Rechtsgleichheit und Verfassungsstaatlichkeit enttäuscht werden. Bürgermeister in der Bürgermeisterei Worringen war unter preußischer wie auch zuvor unter französischer Herrschaft von 1797 bis 1832 Franz Adam Cremerius (geb. 1764 in Holzheim, verst. 1832 in Worringen), Besitzer des Pilgramshofes und Bergerhofes (* 1). Die preußische Regierung erhob systematische Daten über den neuen und unbekannten Landstrich. Auf diese Weise entstanden die Aufzeichnungen über die Bevölkerung und ihre Lebensbedingungen, ihren Gesundheitszustand sowie über die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Verhältnisse im Zeitalter vor der bald einsetzenden Industrialisierung.
Nach einer preußischen Bestandsaufnahme des Landkreises Köln und seiner Bevölkerung im Jahr 1825 hatte die Bürgermeisterei Worringen 3.079 Einwohner (Worringen mit Bergerhof und Krebelshof 1.210), davon waren 1.582 männlich und 1.497 weiblich, sowie 515 Häuser (durchschnittlich wohnten in einem Haus 5 - 6 Personen):
Unverheiratete männlich 1.022
Unverheiratete weiblich 891
Verheiratete 1.020
Witwer 50
Witwen 96
Altersperioden
bis 14 Jahre 1.166
von 15 bis 60 Jahre 1.767
über 60 Jahre 146.
Dokumentation einer medizinischen Topografie des Worringer Bürgermeisters Franz Adam Cremerius von Januar 1824 und Mai 1825 an Dr. Carl Anton Werres, in seiner Funktion als Kreisphysikus für die ansässigen Behörden des Landkreises Köln:
„Das Städtchen Worringen liegt niedrig, hat noch ein Thor (* 2) und an einer Seite einen Graben (* 3) nahe bei einem Broiche (* 4). Es fließt ein Bach (* 5) vorbey in den Rhein, wird öfters vom Rhein und dem Broichwasser überschwemmt. Die Hauptstraße (* 6) ist gepflastert, wird wöchentlich gereinigt. Es befindet sich daselbst eine Kirche (* 7), um welche der Begräbnißplatz gelegen ist und ein Schulhaus (* 8).“
„Die Häuser sind meistens aus Holz und Lehm. Die der Wohlhabenden sind zwar auch mit Holz gebaut, die Gefache aber mit Steinen ausgefüllt, einige vom Grunde auf in Ziegelsteinen aufgebaut. Bey diesen sind die Stuben gediehlt, die der Geringern sind meist mit festem Lehm gestampft; auch sind die Schlafgemächer dieser Leute sehr schlecht. Die Höhe der an der Erde befindlichen Wohn- und Schlafstuben beträgt selten über 6 bis 7 Fuß (* 9), die der Fenster 2 bis 3 Fuß, die Thüren im Durchschnitt 5 Fuß. Die Keller sind nur in den Häusern der wohlhabenden Klasse mit Backsteinen überwölbt. In den Wohnungen der Geringern findet man entweder gar keine oder blos Gruben, welche mit Brettern überdeckt und nicht selten in den Wohn- oder Schlafstuben befindlich sind. Die wenigen Abtritte haben Abfluß auf die Miststätten oder werden dahin ausgeleert.“
„Die Kamine sind in den älteren Häusern nicht gut angebaut, auch von Holz und Lehm, von in der Sonne getrockneten Steinen und Ziegelsteinen. Gewöhnlich finden sich die Feuerherde vorn oder in der Mitte des Hauses. Man hat auch Oefen von Gußeisen in den Stuben. Der Torff wird am häufigsten als Heizungsmaterial gebraucht. Man heizt aber auch mit Holz
(* 10), Lohkuchen (* 11) und Geriß (* 12).“
„Man bedient sich zur Erleuchtung entweder viereckiger Laternen von Holz oder Blech, worinn man gewöhnlich ungereinigten Oel oder Talg brennt. Die Bemittelten bedienen sich auch der Talglichter auf kupfernen und zinnernen Leuchtern.“
„Die hölzernen Bettstellen der ärmeren Leute sind mit Stroh gefüllt oder mit Strohsäcken, man schläft auch auf Heckels (* 13), die wohlhabendere Klasse hat Unterbetten von Federn, Kuhhaaren oder Pferdehaaren und deckt sich mit wattirten Decken, worunter noch ein Leinentuch sich befindet. Man hat fast allgemein zwei Leintücher auf 'm Bette und durchgängig Kopfkissen mit Federn, bey der armen Klasse findet man oft weder Leinen noch Decken.“
* 1 Nach dem Tod von Franz Adam Cremerius wurde Theodor Bollig als kommissarisch
amtierender Bürgermeister bis 1835 bestellt. Danach war Heinrich W. J. Bender aus Fühlingen Bürgermeister von 1835 bis 1866. Sein Sohn Johann Mathias Norbert Bender folgte ihm als Bürgermeister von 1866 bis 1907.
* 2 Rheintor (Unterpforte, im Volksmund Ringpooz genannt), Abbruch des Torbogens im
Jahr 1833, das Gebäude „Am Türmchen“, im Volksmund „Am Töönche“ genannt, war
der Eckturm der früheren Befestigung am Rheintor direkt neben der Ölmühle (im
Volksmund „Ollichsmüll“ genannt) an der Alten Neusser Landstraße
* 3 Wallgraben (auch Festungsgraben genannt) führte entlang der damaligen Straßen „Schmaler Wall“, „Hackenbroicher Straße“ und „Mühlenweiher“, zugeschüttet im Jahr 1909
* 4 Worringer Bruch, entstanden infolge eines Durchbruchs des Rheins nach einem gewaltigen Hochwasser vermutlich im Jahr 1374
* 5 Pletschbach (im Volksmund auch Pädsbach genannt), Quelle ursprünglich im
Chorbusch bei Knechtsteden, fließt an Delhoven, Hackenbroich,, Hackhausen und
Roggendorf-Thenhoven vorbei, schließlich durch das Worringer Bruch und den
Schleusenweg (ehemals Schützengasse, im Volksmund Schötzejässche oder Schötze
genannt) in den Rhein
* 6 1764 wurde die Worringer Hauptstraße, auch (Neusser) Landstraße genannt, von
Worringen nach Köln mit einer Pflasterung gebaut
* 7 Alt-St. Pankratius an der Alten Neusser Landstraße erstmals im „Liber valoris“
(Grundbuch des Kölner Kirchengutes) von 1274 aufgeführt, 1837 profaniert, 1869
Umbau zur Mädchenschule, seit 1983 in Privatbesitz
* 8 Unterrichtsgebäude befand sich bis 1831 in der Vikarie an der „Alten Neusser
Landstraße“ zwischen „St.-Tönnis-Straße“ und „In der Lohn“ (heute durch Umbauten
Anfang des 20. Jahrhunderts Wohnhaus mit Ladenlokal Alte Neusser Landstr. 256,
ehemals 1903 Bäckerei Johann Diefenbach, später Bäckerei Willi Bayer)
* 9 Längenmaß zwischen 25 und 34 cm (ein damaliger preußischer und rheinischer Fuß
entsprach 0,314 m), in England und den USA als „foot“ = 30,48 cm noch heute
gebräuchlich
* 10 Holz wurde im Worringer Bruch oder Chorbusch geholt
* 11 Die zum Gerben verwendeten Baumrinden oder Blätter wurden als Lohn bezeichnet.
In der Regel handelte es sich dabei um Rinde, Blätter oder Holz von Eichen oder Fichten. Die ausgelaugte Lohe wurde unter der Bezeichnung Lohkuchen als Brennmaterial gebraucht.
* 12 „Grieß“, Grus (zerbröckelte Kohle, Kohlenstaub)
* 13 Häcksel, Heu
Manfred Schmidt, April 2013
Abbildungen Heimatarchiv Worringen