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Rheinhochwasser vor 130 Jahren

Unabhängig von der planerischen Zielsetzung eines Retentionsraums Worringer Bruch - zwischen dem Rheinverlauf und der Neusser Landstraße soll ein steuerbarer Rückhalteraum für die Wassermassen geschaffen werden - wurde der Deich von Merkenich bis Dormagen im Rahmen eines Hochwasserschutzkonzeptes beginnend ab 2001 bis 2007 neuerlich saniert und erhöht. Dazu wurden Spundwände rund 10,00 m tief in den Deichkern gerammt. In Worringen soll dadurch ein Hochwasserschutz von 11,90 m erreicht werden.

Erstmalig wurde der Deichbau in Worringen in einer Urkunde vom 18. März 1541 erwähnt: „Das Domkapitel genehmigt die Übereinkunft zwischen den Bewohnern von Worringen und Dormagen, dem Kloster St. Antonius für Worringen und dem Kapitel St. Andreas als Grundherrn zu Dormagen, einen Deich anzulegen und diesen mit Weiden zu bepflanzen.“ Strombauten aus Basalt- und Unkelsteinen* sollten den Strom regulieren, damit der wachsenden Gefahr begegnet werden kann, dass der Rhein - wie bereits im Jahr 1374 geschehen - ins Land durchbricht. Auf diese Weise bedachte man zu verhindern, dass der Rhein sich ein neues Flussbett zwischen Merkenich und Dormagen sucht. Der Ort Worringen wäre dann vom Rhein und damit von der Lebensader des Handels abgeschnitten. Obwohl viele Schutzdämme angelegt und durch Weidenpflanzungen verstärkt wurden, konnten sie die Wasserschäden in der Folgezeit dennoch nicht abwenden.

Laut der „Rheinischen Dorfchronik“, Dormagen 1926, hatten Hochwasser und Eisgänge die Rheindörfer von Merkenich bis Dormagen immer wieder hart getroffen. Die Orte boten langfristig ein Bild der Verwüstung.
Tagebuch des J. Peter Delhoven aus Dormagen:
27. Februar 1784
„Diesen Morgen ist das Wasser höher als es noch dieses Jahre war. Das Wasser wächst alle 2 Stunden ein Fuß**. Um 4 Uhr war der Langeler Damm schon gebrochen. Das Wasser kame, wo man es am wenigsten vermuthete, neben Worringen auf Westen zu hinab. Am Abend liefe es schon über den Worringer Damm.“
28. Februar 1784
„Sobald die Nacht verschwunden war, sahe man nichts mehr von unserem Damme. Das Wasser ware hoch darüber hingeschwellt. Schon kamen Nachen, Stücker von Gebäuden und allerhand Holzwerk durch die Aue getreiben, wohin der Stroom und alles Rheineis seinen Weg genommen hatten. Der Rhein ware unten Zons ausgebrochen und bis an Deelrath (Delrath) über die Heide ausgetreten; und um Worringen bis Hackenbroich ware alles Wasser.“
20. Januar 1789
„Das Wasser fienge an zu wachsen, und der Fluss trat über die Ufer. So verließen die meisten Einwohner die Stadt (Dormagen) und stürzten mit Sack und Pack und all ihrem Vieh hier zum Dorfe (Delhoven) hinein. Worringen und Stürzelberg that ein gleiches; ..... . Um halb vier nachmittags schwoll das Wasser höher an. Zu Worringen wurde auf die Klocke geschlagen, weil das Wasser den Damm hinter der Kirch zu übersteigen begann.“
24. Januar 1789
„Die heutige Köllnische Zeitung meldet, dass die Rheindämme zu Worringen, Dormagen und Zons durchgebrochen, und dass die Einwohner sich nach Hackenbroich geflüchtet hätten.“

In den 1930er Jahren wurde das Überflutungsgebiet von Merkenich bis Dormagen wiederum reguliert und der Rheindeich zugleich erhöht. Die alte Deichkrone hatte vorher nur eine Höhe von 1,00 m. Diese betrug danach 2,50 m, stellenweise 5,00 m. Die Länge des Deichs maß 9,9 km. Durch Verlegung des Deiches kamen ca. 25 ha Ackerland zum Flutgebiet. Die Regulierung kostete im Worringer Abschnitt 250.000 RM. Die Arbeiten im Abschnitt von Merkenich bis Langel wurden vom „freiwilligen“ Arbeitsdienst, von Langel bis Worringen von einem Unternehmer ausgeführt. Bei den Deicharbeiten wurde auch das sog. „Detmers Loch“ zugeschüttet. Es war bei einem früheren Deichbruch entstanden und lag diesseits des Deichs, 100 m südlich des Fronweihers („Fruhloch“, ebenfalls durch einen Dammbruch im Jahr 1784 entstanden).

Worringen erlebte 1882/83 die schlimmste Überschwemmung im 19. Jahrhundert. Ungewöhnlich starke Schnee- und Regenfälle hatten den Rhein anschwellen lassen. Am 23. November 1882 begann der Pegel in Köln zu steigen und erreichte 5 Tage später gegen ein Uhr mittags mit 9,52 m den Höhepunkt. Der Wasser stieg so schnell, dass bei den Worringern, die unmittelbar in Rheinnähe wohnten, eine große Furcht entstand. Am 29. November 1882 brach dann schließlich das Inferno herein. Frühmorgens gegen drei Uhr ertönte die Sturmglocke. Die Flutwelle überspülte schnell den Deich und riss ihn im nördlichen Teil Worringens ein. Ungeheure Wassermassen ergossen sich über die Neusser Landstraße und drangen in die Dornstraße ein. Gegen sieben Uhr erfolgte ein weiterer Dammbruch im Rheinbogen zwischen Worringen und Langel. Die gewaltigen Wasserfluten gruben ein ca. 10 m tiefes und ausgedehntes Loch, das spätere sog. „Kellerloch“. Der Ortskern mit über 400 Gebäuden (rund zwei Drittel aller Gebäude) stand innerhalb kürzester Zeit - mit Ausnahme der höher gelegen Bereiche von Alt-St. Pankratius und der Mädchenschule - unter Wasser. Die Strömung war dabei so reißend, dass es gefährlich wurde, mit Kähnen zu fahren. Wer vom Worringer Bahnhof kam, musste ab Bergerhof den Kahn benutzen. Das Wasser stand an der damaligen Knabenschule St.-Tönnis-Straße, dem jetzigen St.-Tönnis-Haus, bis über den Fenstern des Erdgeschosses.

                                            

Vier Wochen später kam die nächste Flutwelle. Am Abend des 28. Dezember 1882 standen die Bereiche „In der Lohn und „In der Hütte“ wiederum unter Wasser. Bis zum 5. Januar 1883 stieg das Hochwasser stetig weiter und erreichte an diesem Tag mit 8,67 m seinen höchsten Stand. Die verheerende Überschwemmung Worringens dauerte insgesamt fast 6 Wochen.

Die Folgen des Rheinhochwassers: Zwei junge Worringer ertranken in den Fluten. Die Mauern der Fachwerkhäuser waren völlig aufgeweicht, die Mauern der massiven Häuser rissig. Etliche Gebäude waren zerstört oder vielen drohte Einsturzgefahr. Zahlreiche Bewohner wurden vorübergehend obdachlos. Haurat war verdorben, die Frucht in den Scheunen und die Futtervorräte waren vernichtet, Tiere ertranken. Gebäude wurden vom Verkehr abgeschnitten. Familien mussten ihre Wohnungen aufgeben und suchten Zuflucht in der Mädchenschule, in den verschont gebliebenen Gebäuden oder auch in Roggendorf-Thenhoven. Nachdem der Wasserpegel abnahm, wurden Maßnahmen durch ein „Hilfskomitee“ in Gang gesetzt. Die Schiffsleute stellten ihre Kähne zur Verfügung, um die Bewohner mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen, kostenlose Mahlzeiten wurden ausgeteilt. Die Leitung zur Linderung der Not der Betroffenen und die Instandsetzungs- und Verstärkungsarbeiten am Rheindeich hatte der damalige Bürgermeister Johann Mathias Norbert Bender, der das Bürgermeisteramt von 1866 bis 1907 ausübte. Eine Volkszählung am 1. Dezember 1890 ergab im Übrigen für den Ort Worringen 550 Wohngebäude mit 2.744 Einwohnern.

* Basaltblöcke aus den Steinbrüchen von Unkel am Rhein, wie solche auch für die Stadtmauer in Zons verwendet worden sind.
** Früheres deutsches Längenmaß, zwischen 25 und 34 Zentimeter, in England und den USA als „foot“ = 30,48 Zentimeter noch heute gebräuchlich.

 

Manfred Schmidt, Dezember 2012

Literaturquellen
Carl Dietmar: „Die Chronik Kölns“, Dortmund 1991
Toni Jägers: „Köln-Worringen in Geschichte und Geschichten“, Köln 1985
Josef Gödecke: „Worringen - Bild eines rheinischen Dorfes“, Köln 1970