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Den Toten zum Gedenken

Der Umgang mit dem Tod und dem Gedenken an die Verstorbenen ist zunehmend ein Forschungsfeld für Soziologen, Historiker und Volkskundler. Die Erforschung von Totenzetteln, in manchen Regionen auch Totenbilder, Sterbebilder oder -zettel genannt, bietet dabei die Möglichkeit, gesellschaftlichen Veränderungen des Totengedenkens nachzuspüren. Aber auch Genealogen bedienen sich ihrer gerne, um Familienstammbäume zu rekonstruieren. Zahlreiche Veröffentlichungen, auch im Internett, sind Zeugen dieser Forschungstätigkeit.

Im Gegensatz dazu kann jedoch heute beobachtet werden, dass in einer zunehmend Konsum orientierten Gesellschaft der Tod verdrängt wird und sich ein Sinngebungsdefizit offenbart. Dies war in der Vergangenheit grundlegend anders. Das Gedächtnis an die Verstorbenen nahm eine zentrale Stellung ein, die Verstorbenen waren somit auch nach ihrem Ableben noch präsent. Relikte dieses Totengedenkens haben sich in Form von Grabsteinen und Todesanzeigen erhalten. In katholischen Gebieten werden noch heute häufig Totenzettel ausgegeben, doch der Brauch schwindet immer mehr.

                      

Die Entstehungsgeschichte der Totenzettel führt zurück in das Hochmittelalter zu den Andachtsbildern. Bei einer Bevölkerung, die größtenteils nicht schreiben und lesen konnte, erfüllten diese eine pädagogische Funktion, indem sie ohne Worte Geschichten aus der Bibel oder Heiligenviten erzählten. Dies ist wohl auch ein Grund dafür, dass in evangelischen Gebieten Totenzettel keine Verbreitung fanden. Die evangelischen Theologen lehnten den „Bilderdienst“ der katholischen Kirche ab.

Unmittelbare Vorläufer unserer heutigen Totenzettel waren Todesanzeigen im klösterlichen Leben. Geschmückt waren sie mit Emblemen, christlichen Symbolen und Texten. War ein Geistlicher verstorben, wurden diese Anzeigen zugewandten Klöstern zugestellt, damit sein Name in das Totenbuch eingetragen werden konnte. Während der heiligen Messe wurden die Namen der verstorbenen Geistlichen vorgelesen, um ihrer zu gedenken. Der Adel orientierte sich am Vorbild des Klerus und verwendete Totenzettel verstorbener Angehöriger als Gebetbucheinlagen. Im 17. Jahrhundert eiferten wohlhabende Bürger und Bauern dem Lebensstil des Adels nach, wobei der Adel zunächst versuchte, dies zu untersagen.

                   

Die heutigen Totenzettel zeigen gewöhnlich ein Foto des Verstorbenen, sind auf der Vorder- und Rückseite bedruckt und enthalten neben einer kurzen Beschreibung des Lebens und der Tugenden des Verstorbenen eine Gebetsaufforderung für die Seele des Toten. Inwieweit Totenzettel als objektive Informationsquelle genutzt werden können, muss jedoch im Einzelfall hinterfragt werden, weil - allgemein üblich - nichts Negatives über Tote berichtet wird. Daher leitet sich auch der Volksspruch ab: „Er lügt wie ein Totenzettel“. Die beschriebenen Tugenden und Lebensläufe sind im Einzelnen beschönigt und weisen stereotype Formulierungen auf, die wenig Rückschlüsse auf das Leben der Verstorbenen zulassen.

Totenzettel aus früherer Zeit sind aufgrund ihrer damaligen geringen Verbreitung relativ selten. Nur Wohlhabende konnten sich die anfallenden Druckkosten leisten. Der Bestand der Totenzettelsammlung des „Heimatarchiv Worringen e.V.“ umfasst derzeit ca. 1.200 Totenzettel. Für Worringen stellt diese Sammlung nicht aufgrund ihres Umfanges eine Besonderheit dar, sondern weil zu ihr auch mehrere frühere Totenzettel gehören, die in das 19. Jahrhundert zurückgehen.

Der älteste Totenzettel stammt von 1777. Der Verstorbene Johann Caspar Horst kam aus Derichsweiler und wurde am 6. Mai 1765 zum „Pastor Worringensis“ ernannt. Er fand die kirchlichen Tauf-, Heirats- und Sterbebücher bei seinem Dienstantritt sehr ungeordnet vor. Pastor Horst notierte: „ Im laufenden Jahr habe ich nach der alphabetischen Ordnung die Namen der unter den Getauften dazunotiert, und es finden sich alle aus legitimem Ehebett geborenen, die illegitimen aber finden sich am Ende.“ Er starb am 23. März 1777 plötzlich infolge eines Schlagsanfalls „im 47. Jahr seines Alters, im 24. Jahr seines Priestertums und seines Pfarrerseins im 12.“

Leider sind fast alle Aufzeichnungen von Worringer Pfarrern in den kirchlichen Büchern aus dem 18. bis Mitte 19. Jahrhundert in lateinischer Sprache.

                   

Der zweitälteste Totenzettel der Sammlung stammt aus dem Jahr 1817. Angezeigt wird der Tod der am 11. Juli 1800 geborenen Maria Margarita Bodenheims am 18. Januar 1817. Sie starb an einer „Brustfellentzündung auf dem Bachhof in Roggendorf der Pfarrre Worringen in der Blüthe ihrer unschuldigen Jugend“.

Ein weiterer Totenzettel liegt dem Heimatarchiv aus dem nachfolgenden Jahr vor. Hiernach wird der Tod der am 6. Juli 1739 geborenen Maria Helena Breuers am 22. Oktober 1818 bekannt gegeben. Sie war verheiratet mit Franz Adam Cremerius (geboren am 6. Mai 1764, verstorben am 20. September 1832). Die Familie Cremerius gehörte zu den begüterten Familien Worringens. Eine Urkunde aus dem Jahr 1808 besagt, dass er Besitzer des Pilgramshofs und Bergerhofs war und erster Bürgermeister von Worringen ab 1797 bis 1832, zunächst unter französischer, ab 1815 unter preußischer Herrschaft.

                    

Trotz vieler Ähnlichkeiten in den benannten Totenzetteln können auch Veränderungen ausgemacht werden. Interessant ist der Kopf des Totenzettels. Zierten bisher düster wirkende Todessymbole die Drucke, so ändern sich die Darstellungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Unter der Anrufung Jesu`, Mariens und Josephs findet sich eine Darstellung „Die Himmelfahrt Mariae“ als Beschützerin der Kirche. Man kann davon ausgehen, dass die Totenzettel in der Regel während der Trauerfeierlichkeiten verteilt wurden.

Ganz anders ist der Totenzettel des am 2. März 1916 verstorbenen Johann Mathias Norbert Bender gestaltet, der hier als letzter Totenzettel vorgestellt werden soll. Er ist der am einfachsten gehaltene Totenzettel, auf der Vorder- und Rückseite bedruckt und erweckt den Eindruck, als ob dieser Totenzettel nachträglich beschnitten worden sei., damit er besser in ein Gebetbuch eingelegt werden konnte. Der Verstorbene, geboren am 4. August 1839 zu Fühlingen, war zunächst dritter Beigeordneter von 1863 bis 1866, danach von 1866 bis 1906 Bürgermeister von Worringen, Lokalschulinspektor sowie Deichhauptmann. Im Jahr 1866 löste Johann Mathias Norbert Bender seinen Vater Heinrich Bender als Bürgermeister ab und leitete über 40 Jahre die Bürgermeisterei Worringen.

                   

Zunehmend fanden Drucke zum Gedenken der Toten immer weitere Verbreitung, auch bei ärmeren Bevölkerungsschichten. Der Erwerb dieser populären Druckgraphiken war für jedermann erschwinglich geworden und nicht mehr privilegierten Schichten vorbehalten.

Die dem Heimatarchiv verfügbaren Totenzettel aus Worringen sind digitalisiert und im Internet unter www.heimatarchiv-worringen.de abrufbar. Wer Totenzettel zur Sammlung hinzufügen möchte, kann sie im Heimatarchiv, Breiter Wall 2-4, zu den Öffnungszeiten jeweils mittwochs von 17 bis 19 Uhr abgeben. Gertrud Esser, Initiatorin dieser Sammlung, ist unter der Telefonnummer 278 30 66 zu erreichen.

 

 Manfred Schmidt, April 2014

Literaturquellen

Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2014 (2013) des “Kreisheimatbund Neuss e.V.“

Archivunterlagen des „Heimatarchiv Worringen e.V.“