Kopf HW 2   Kopie 2

Schuldisziplinierung

 Richtungsgebende Schulen sind vormals erst eingerichtet worden, nachdem 1815 auf dem Wiener Kongress Preußen die Rheinprovinz als neues Staatsgebiet zugesprochen erhielt. Die preußische Regierungszeit war von absoluter Obrigkeit geprägt. Man wurde zur strengsten Pflichterfüllung und Treue gegen König (ab 1871 Wilhelm I. von Preußen deutscher Kaiser mit der nationalen Einigung Deutschlands) und Vaterland angehalten. Das Regierungsprogramm hieß: „Arm sein, Pflicht erfüllen, entbehren, gehorchen - damit der Staat gedeihe.“

Der Schulbesuch wurde für alle Kinder ab dem Jahr 1825 verpflichtend eingeführt. Die Lehrer waren verantwortlich, auch unter Vollziehung des körperlichen Züchtigungsrechts, die Schüler inner- und außerhalb der Schule zu beaufsichtigen. Die Kinder mussten das Bewusstsein haben, dass jeder Lehrer jedem Schüler überall und fortwährend als Erzieher gegenübersteht. Zu jener Zeit war eine unbedingte Gehorsamkeit gegenüber dem Lehrerpersonal geboten. Schüler durften beim Verhör wegen einer Überschreitung des Züchtigungsrechts durch Schullehrer nicht von Organen der Polizei, sondern nur von der Schulbehörde vernommen werden. Einige aufsehenerregende Fälle von Missbrauch des Züchtigungsrechts nahm man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch zum Anlass, den Lehrern allgemein die Befugnis, Schüler zu prügeln, zu entziehen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das erlassene Züchtigungsverbot wieder aufgehoben mit der Verfügung, dass jeder Missbrauch zwar streng geahndet wird, den Lehrern das Vertrauen andererseits bekundet wird, dass sie die Prügelstrafe „nur zu Nutz und Frommen der Schüler“ anwenden werden.

                                                

Zu den verbreitetsten Körperstrafen gehörten „an den Ohren oder Haaren ziehen“, „Ohrfeigen“ sowie die sog. „Tatzen“ (Schläge mit einem Lineal oder Rohrstock auf die Handflächen des Schülers). Körperstrafen auf das Gesäß, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Hauptrolle gespielt hatten, wurden in den Schulen seit dem Ende des 2. Weltkrieges zunehmend reduziert.

Nachfolgend einzelne Auszüge aus den Protokollen des Gemeinderates für Worringen und Akten der Bürgermeisterei Worringen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Leider liegen hierzu keine Nachberichte vor. Diesbezügliche Auslassungen waren anscheinend nicht gewünscht.

30. April 1906

 „Der Gemeinderat nimmt einen Antrag von Gemeindevertretern zur Kenntnis, bei der Regierung die Versetzung des Hauptlehrers K. zu beantragen. Begründung: Das Verhalten von K. hat zur Aufregung unter der Bevölkerung geführt und die „wegen seiner vielen körperlichen Züchtigungen in der Schule“ bestehende Verbitterung vermehrt.“

 16. Juli 1906

 „Der Gemeinderat beschließt einen Antrag an die Regierung zur sofortigen Entlassung des K. aus seinem Amt. Gründe: Bestrafung wegen Überschreitung des Züchtigungsrechts, Fortsetzung harter Züchtigungen und wegen Freiheitsberaubung.“

 1910

 „Beschwerde des Gastwirts Everhard Hüsch über die Bestrafung seines Kindes durch eine Lehrerin, Untersuchung“,

 1911

 „erneute Beschwerde des Hüsch“,

 22. August 1916

 „Beschwerde wegen einer zu harten Bestrafung eines Kindes“.

Die Schulsitten waren in Worringen sehr streng. Im Jahr 1886 wurde eine Schulordnung erlassen, wonach das Herausnehmen der Bücher und Arbeitsmittel auf Kommando zu erfolgen hatte. So war auf „EINS“ die Tafel unter dem Pult anzufassen, auf „ZWEI“ über das Pult zu heben, auf „DREI“ waren die Hände handbreit nebeneinander zu legen, dabei die Füße ebenso parallel. Beim Aufzeigen durfte der Ellenbogen nicht auf das Pult gesetzt werden. Der Schüler hatte sich flink und ohne Geräusche zu erheben. Nach Schluss des Unterrichts mussten die Schüler am Schulhoftor auf das Kommando „AB“ ruhig nach Hause gehen. Schreien, Singen und Raufen waren auf dem Heimweg verboten.

                                                       

Heute darf ein Lehrer zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schulen eine körperliche Züchtigung gegenüber den Schülern nicht mehr ausüben.

In der Bundesrepublik Deutschland bestand bis längstens 1973 ein Züchtigungsrecht für Lehrkräfte an Schulen gegenüber den ihnen zur Erziehung anvertrauten Schülern, in Nordrhein-Westfalen war die körperliche Züchtigung bereits vorher stark eingeschränkt und letztlich im Jahre 1971 für unzulässig erklärt worden. Gleichfalls unzulässig waren auch andere herabsetzende oder diskriminierende Maßnahmen , wie z.B. das „in die Eckestellen“ eines Schülers, „Kniebeugen machen lassen“, mechanische Strafarbeiten wie langweiliges Abschreiben von Texten oder vielfaches Schreiben desselben Wortes, auch wenn dies als Übungsarbeit deklariert wurde. Allerdings besaßen schon vorher Schulen Schulordnungen, welche die physische Bestrafung verboten.

Die körperliche Züchtigung als Schulstrafe ist in der heutigen Gesellschaft kein probates und anerkanntes Erziehungsmittel mehr und vermag eine Körperverletzung, die ein Lehrer einem Schüler zufügt, nicht mehr zu rechtfertigen. Der Lehrer macht sich daher im Falle körperlicher Züchtigung grundsätzlich strafbar. Darüber hinaus liegt ein im Wege des Disziplinarverfahrens zu ahndendes Dienstvergehen vor. Eine körperliche Züchtigung kann nur ausnahmsweise dann gerechtfertig sein, wenn sie gegenüber gewalttätigen Schülern in Notwehr, Nothilfe oder wegen eines rechtfertigenden Notstands erforderlich ist, um höherwertige Rechtsgüter vor Schaden zu schützen. Zur Erfüllung und Sicherung des gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule einschließlich der Erfüllung der Schul- und Teilnahmepflicht und der Einhaltung der Schulordnung sowie zum Schutz von Personen und Sachen innerhalb der Schule können Ordnungsmaßnahmen unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gegen einzelne Schüler verhängt werden.

 

Manfred Schmidt, August 2012

Abbildungen Heimatarchiv Worringen